Weit weg

Santiago de Compostela – Auf Schusters Rappen

Der Jakobsweg, jeder kennt ihn, jeder läuft ihn. Dabei ist jedoch den wenigsten bekannt, dass es mehrere Jakobswege gibt. Im Grund befindet man sich auf dem Jakobsweg, wenn man sein Haus verlässt und beschließt: „Ich laufe nach Santiago!“
Offizielle Jakobswege gibt es mehr als an einer Hand zählbar. Einer der leichtesten ist der Camino Portugués. Für ungeübte Füße eignet sich als Startpunkt die Stadt Porto am besten, Profis starten bereits in Lissabon.

Kaum verlässt man das Stadtgebiet, schon wird der geplagte Körper durch kontinuierlichen Meerblick versöhnt, denn tatsächlich führt ein beträchtlicher Teil der insgesamt etwa 200km langen Route direkt am Meer entlang. Aber auch die Strecke durch das Inland wartet mit atemberaubenden Landschaften und bezaubernden kleinen Ortschaften auf. Herbergen gibt es hier für jeden Geschmack, denn die Einwohner sind seit Jahren auf Pilger aller Altersgruppen und Gehaltsklassen eingestellt. Auch verlaufen kann man sich kaum, denn die zahlreichen gelben Pfeile und Jakobsmuscheln werden als Wegweiser gehegt und gepflegt.

 

Porto – Lavra

Aber Stück für Stück. Mit dem Flugzeug geht es nach Porto. Die Stadt ist auf jeden Fall einen längeren Aufenthalt wert. Allein für die

Besichtigung der Portweinkeller in Gaia muss man mindestens einen Tag einberechnen. Die Stadt ist sehr authentisch und malerisch und bietet dem Besucher absolutes Urlaubsflair, jedoch gleichzeitig auch einen ungeschönten Blick in das portugiesische Großstadtleben. Nicht entgehen lassen darf man sich hier eine Francesinha – DAS Gericht Portos. Hier wird eine Art Fleischsandwich mit viel Käse in einem tiefen Teller serviert. Der Teller muss tief sein, um die Unmengen an Sauce aufzufangen, deren genaues Rezept kein echter Bewohner Portos einfach so herausrückt.

Aber zurück zum Caminho! Mit dem Carro Eléctrico geht es raus aus der Stadt bis zum Stadtstrand. Hier führt ein Holzweg durch die Dünen über die wuseligen Strände bis hin zu absolut menschenleeren Buchten. Auf dem Campingplatz Lavra erhält man für wenig Geld einen eigenen kleinen Bungalow mit Meerblick. Nach knapp 16km und 15 Kilo auf dem Buckel schläft man hier so gut wie in einem 5-Sterne-Hotel und macht vielleicht schon die eine oder andere Bekanntschaft mit anderen Pilgern. Am nächsten Morgen jedoch der unweigerliche Weg zum nächsten Postamt und ich schicke beschämt ein paar Kilo meiner Ausstattung zurück. So viel hält mein Rücken einfach nicht aus, denn 2 Liter Wasser und Wegzehrung wollen auch konstant mitgeführt werden.

 

 

 

Lavra – Rates – Barcelos

Am nächsten Tag steht eine der längsten Etappen bevor. Nach 22km verabschiedet sich der Blick vom Meer und richtet sich ins Inland. Am abendlichen Stopp in Rates gibt es nur eine Herberge. Und die Befürchtungen bestätigen sich: ALLE Pilger sammeln sich hier in 8-Bett-Zimmern. Nach 2 Stunden Geschnarche finde ich in der Gemeinschaftsküche auf dem Sofa Asyl. Um 5 Uhr morgens gebe ich auf und mache mich auf die Weiterreise. Aber was wäre ein Pilgerweg ohne eine solche Erfahrung?

Der nächste Halt Barcelos ist eine der geschichtsträchtigen Städte Portugals und sehr malerisch. Nach 16km gönne ich mir hier zum ersten Mal auf dem Weg ein echtes Hotel, um die Schrecken der vergangenen Nacht abzuschütteln.

 

Barcelos – Vitorino dos Piaes – Ponte de Lima

Herbergen sind ein ganz eigenes Thema auf jedem Jakobsweg. Gute Recherche aber auch ein gutes Näschen und Spontaneität sind ein Muss auf der Pilgerreise. Schon am nächsten Abend kehre ich in Vitorino dos Piaes in eine Unterkunft ein, die aus umgebauten Pferdeställen besteht. Jeder Gast eine Box! An diesem Abend lerne ich meine „feste Gruppe“ kennen. Auch eine Erfahrung, die jeder für sich selber auf dem Weg machen muss. Denn die Frage, WIE man laufen möchte, klärt sich erst beim Laufen selbst.

Persönlicher Geheimtipp

Ich kann nur empfehlen, die Scheu vor dem Alleinsein abzuschütteln. Denn erst dadurch wird einem das Geschenk der besonderen Begegnungen mit besonderen Menschen gemacht, die man vielleicht, aber auch nur vielleicht, noch einmal wiedersieht. Außerdem wird mir klar, dass mein normaler Alltag von den Beschränkungen und Launen anderer Mitmenschen geprägt ist. Warum also nicht die Gelegenheit nutzen und selbst beschließen dürfen, wann, wie lange, wo und wie verweilt wird?

Ich für meinen Teil laufe tagsüber allein und treffe jeden Abend meine feste Gruppe am vereinbarten Ort. Wir sind alles Nichtschnarcher und teilen uns von da an auch unsere Unterkünfte in festen 4-Bett-Zimmern. 🙂

Tui – Pontevedra

Nach weiteren drei Tagen erreiche ich die spanische Grenze. Hier in Tui ändert sich einiges, nämlich die Preise und die Zahl der Mitwanderer. Viele Pilger beginnen ihren Weg erst auf den letzten 100km, denn für weniger wird keine Pilgerurkunde in Santiago ausgestellt. Schummeln wird hier übrigens erschwert durch die kleinen Stempel, die man sich jeden Abend in seiner Herberge oder Touristenauskunft in den Pilgerausweis geben lässt. Die überfüllten Wege lichten sich jedoch bald wieder, als nicht enden wollender Regen einsetzt. Ich bin zum ersten Mal bis auf die Knochen nass und auch mein Rucksackinhalt wird nicht verschont. Auf dem Caminho begegnen mir jedoch durchweg viele gute Seelen, die sich als Retter in der Not erweisen. Und so laufe ich am nächsten Tag frohen Mutes mit einem geschenkten Regenschirm weiter (an einem Sonntag gibt es nämlich auch, oder erst recht, in Portugal keine zu kaufen).

Santiago de Compostela

Die letzten Etappen stehen bevor und so langsam entsteht eine gewisse Wehmut, da die tägliche Routine aus „Laufen – Essen – Schlafen“ so unglaublich befreiend ist. An meinem letzten Tag beschließen meine festen Gruppenmitglieder und ich ausnahmsweise gemeinsam zu laufen. Verschwitzt und keuchend laufen wir nach 26km vor der gewaltigen Kathedrale von Santiago de Compostela ein. Wir nehmen am Pilger-Gottesdienst teil und da zufällig Jakobsjahr ist, werden wir Zeuge, wie das gewaltige Weihrauchfass Botafumeiro von acht Männern bis hoch unter die Decke geschwungen wird. Überwältigt nehmen wir unsere Pilgerurkunden entgegen und kehren in unsere letzte Herberge ein.

Den Weg zum Flughafen habe ich übrigens auch noch zu Fuß gemacht. Wer kann das schon von sich behaupten?

Ich habe auf dieser Reise Menschen jeden Alters getroffen, die den Caminho aus unterschiedlichsten Beweggründen gelaufen sind. Gut getan hat er ihnen allen und darin steckt etwas sehr tröstlich. Wer also eine Auszeit braucht, egal von was oder wem, der ist auf dem Jakobsweg genau richtig aufgehoben.

 

PS: Wer sich näher informieren oder jetzt schon seine Etappen planen möchte, dem kann ich nur wärmstens den Jakobsweg-Reiseführer von Raimund Joos empfehlen.